Er war Japans am längsten amtierender Ministerpräsident und gilt als Architekt der japanischen Wirtschafts- und Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte – am Freitag feuerte ein Attentäter Schüsse auf Shinzo Abe während einer Wahlkampfrede, wenige Stunden danach erlag der 67-Jährige seinen Verletzungen. Der mutmaßliche Schütze, ein ehemaliger Marinesoldat, wurde gefasst.
Abe war von 2006 bis 2007 und von 2012 bis 2020 Ministerpräsident und somit der Regierungschef, der Japan am längsten regiert hat. Der Rechtskonservative galt als ausgebuffter Stratege und prägte das Land wie kaum ein anderer Politiker: Innenpolitisch setzte er sich für ehrgeizige Wirtschaftsreformen ein, außenpolitisch ließ er die pazifistische Nachkriegsverfassung überarbeiten, um Japan ein stärkeres militärisches Gewicht in der Welt zu geben.
Abe entstammte in dritter Generation einer Politikerdynastie, studierte Politikwissenschaften in Japan und den USA und stieg 1982 in die Politik ein. Zu Beginn seines ersten Regierungsmandats war Abe mit 52 Jahren der jüngste japanische Ministerpräsident aller Zeiten. Er stand für Wandel und Aufbruch – verkörperte zugleich aber auch die elitäre, konservative Haltung seiner Familie.
Seine erste Amtszeit endete bereits nach einem Jahr mit einem abrupten Rücktritt nach einer Wahlniederlage seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP). Erst später wurde bekannt, dass bei Abe damals eine schwere Darmerkrankung diagnostiziert wurde und dies der Grund für den Rücktritt war.
Nach monatelanger Behandlung erholte Abe sich und kandidierte erneut: 2012 war er zurück im Amt, wo er acht Jahre lang bleiben sollte – eine Seltenheit in Japan, wo die Ministerpräsidenten mitunter jedes Jahr wechseln.
Und Abe hatte einen Plan für das gerade erst durch die Nuklearkatastrophe von Fukushima stark gebeutelte Land: Er wollte die seit zwei Jahrzehnten stagnierende Wirtschaft wieder ankurbeln, den Haushalt sanieren – unter anderem durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer – und die Geburtenrate erhöhen.
Seine im Ausland als „Abenomics“ bekannten Wirtschaftsreformen erzielten Teilerfolge, doch strukturelle Probleme blieben bestehen, und bereits vor der Corona-Pandemie schlitterte Japan in eine Rezession. Während der Pandemie sanken Abes Zustimmungswerte auf die niedrigsten seiner Amtszeit, kurz darauf legte er erneut das Amt nieder – die Krankheit war zurückgekehrt.
Auf internationaler Bühne fuhr Abe einen harten Kurs gegen Nordkorea – Nordkorea feuerte zu Testzwecken Raketen ab, die über Japan hinweg flogen. Gleichzeitig bemühte er sich, im Konflikt zwischen den USA und dem Iran eine Vermittlerrolle einzunehmen.
Halbwegs intakte Beziehungen pflegte er zu Donald Trump, mit dem er die Leidenschaft für Golf teilte. Auch zu Russland unterhielt Abe Kontakte in der Hoffnung, den Streit um die südlichen Kurilen-Inseln beizulegen, die im zweiten Zweiten Weltkriegs von der Sowjetunion besetzt und nie an Japan zurückgegeben wurden – ohne Erfolg, der Konflikt ist immer noch nicht gelöst.
Einige Gesetze, die unter Abe verabschiedet wurden, etwa ein Gesetz zum Schutz von Staatsgeheimnissen oder ein Gesetz, das Japan ein größeres militärisches Engagement im Ausland ermöglicht, sorgten in Japan für Unmut und führten sogar zu großen Demonstrationen, die im Land sonst selten sind.
Obwohl er sie abstritt, machten Abe auch Vorwürfe der Günstlingswirtschaft regelmäßig zu schaffen. Dass er so lange an der Macht bleiben konnte, hatte er vermutlich auch dem Fehlen eines Rivalen in seiner eigenen Partei LPD sowie der schwachen Opposition zu verdanken.
Abe wollte eigentlich bis Ende 2021 im Amt bleiben und hoffte, dass die auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele in Tokio seine letzte Amtszeit krönen würden. Doch im August 2020 gab er überraschend seinen Rücktritt bekannt – die Krankheit beendete auch seine zweite Amtszeit.