Wahnsinn auf vier Skiern: Die Langläuferinnen Katharina Hennig und Victoria Carl werden in Peking Olympiasiegerinnen im Teamsprint.
Peking (SID) Im völligen Freudentaumel sprangen Victoria Carl und Katharina Henning Hand in Hand auf das Siegerpodest, der in Tränen aufgelöste Bundestrainer Peter Schlickenrieder jubelte am schönsten Geburtstag seines Lebens den Golden Girls fassungslos zu: Nach einer der größten deutschen Sensationen bei Olympischen Winterspielen brachen bei den Skilangläuferinnen alle Dämme.
„Ich zittere am ganzen Körper, das ist alles einfach unglaublich“ rief Carl, die mit einem Bilderbuchspurt den märchenhaften Teamsprint-Triumph von Peking perfekt gemacht hatte.
Um exakt 17.37 Uhr war die 26-Jährige als Schlussläuferin im Thüringen-Express vor den beiden scheinbar übermächtigen Kontrahentinnen Jonna Sundling aus Schweden und Natalja Nerprjajewa vom russischen Team über die Ziellinie und ins pure Glück gestürmt. Dem ersten Olympiasieg seit zwölf Jahren für die zwischenzeitlich fast zur Lachnummer gewordene deutsche Langlaufsparte folgte Ekstase in Schwarz-Rot-Gold.
„Wir sind doch hier im falschen Film! Ich bin so stolz“, sagte Carls kongeniale Kollegin Hennig: „Dass wir hier nach dem Staffelsilber noch einen draufsetzen können, ist Wahnsinn.“ Schlickenrieder war nach dem gigantischen Geschenk an seinem 52. Geburtstag kaum noch einzufangen. „Ich könnte die ganze Zeit heulen, so intensiv ist das. Hier geschieht etwas Einmaliges.“ Selbst im drei Kilometer entfernten Biathlon-Stadion lag sich die deutsche Frauen-Bronzestaffel jubelnd vor dem TV in den Armen.
„Heute Abend wird definitiv richtig getanzt“, sagte Schlickenrieder: „Das haben wir hier schon jeden Abend gemacht. Um zehn vor zehn haben wir im Hotel immer die Türen aufgemacht und gemeinsam ein bisschen getanzt. So etwas braucht man, wenn man ohnehin angespannt ist.“ Eine Lehre aus der unter Druck so verkorksten Heim-WM 2021 in Oberstdorf als Tiefpunkt der jahrelangen Talfahrt.
Völlig losgelöst war auch das einstige Top-Talent Carl, dem immer ein kleines bisschen zum großen Durchbruch fehlte, auf dem finalen Teil dieser brutalen 6×1,5 km zum Olympiasieg getanzt. „Erst am letzten Berg habe ich gemerkt, dass es zur Medaille reichen kann“, sagte sie.
Dabei war gar nicht Carl, sondern Olympia-Entdeckung Katherine Sauerbrey als Hennigs Partnerin für den Teamsprint vorgesehen gewesen. Sauerbrey, die vermeintlich bessere Klassikläuferin, meldete sich aber am Morgen ab, da sie sich nach den großen Belastungen der vergangenen Tage nicht mehr zu 100 Prozent fit fühlte – und Carl wurde von der Ersatzbank zum Matchwinner. „Dass wir das hier nicht in der Originalbesetzung schaffen“, sagte Schlickenrieder, „davor habe ich einen Riesenrespekt.“
Den muss man auch vor der Entwicklung der einstigen Sorgensparte unter Schlickenrieder haben: Acht bittere Jahre lang waren die deutschen Langläufer und Langläuferinnen bei Großereignissen ohne Medaillen geblieben, seit Evi Sachenbacher-Stehles und Claudia Nystads Vancouver-Triumph ebenfalls im Teamsprint ohne Olympiasieg, hatten am Rande der Drittklassigkeit agiert.
Und binnen einer Woche machten die Golden und Silver Girls dies nun vergessen, ließen dem schon sensationellen Silber in der Frauenstaffel die noch viel größere Sensation folgen. „Eigentlich“, meinte Schlickenrieder fast entschuldigend, „liegen wir damit vor dem Zeitplan.“
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