Kolumne: 69,99 € – Kann man Spaß kaufen?

Eine schiefe Naht, ein gerissener Faden oder ein falsch herum eingenähter Ärmel. Einige der schlimmsten Alpträume eines jeden Cosplayers der dabei ist ein Kostüm zu nähen. Im besten Fall bedeuten sie stundenlanges Nahtauftrennen, im schlimmsten Fall kann man wieder ganz von Vorne anfangen. Eines ist jedoch sicher, Stress und schlaflose Nächte sind jetzt schon vorprogrammiert. Am Tag der Convention sind die Augenringe dann, wie zu erwarten tiefer als der Grand Canyon und die Stimmung nicht grade besser. Da kommt es beim Anblick von Leuten, welche hellwach und gut gelaunt in einem perfekt sitzenden Kostüm durch die Gegend laufen zu neidischen Blicken.

„Warum geht es der denn besser als mir, wo ich doch schon mit meinem halbwegs fertigen Kostüm solche Probleme hatte? Oh sie kommt näher! Schnell ein nettes Kompliment für das Kostüm ausdenken…“, rattert es durch den Kopf. „Tolles Kostüm!“, stößt es aus dem Mund, schneller als die Gedanken hinterher kommen können. „Danke! Hat mit Versand nur 69,99€ gekostet.“, lautet die erfreute Antwort. 69,99€…. Das ist die Erklärung, das Kostüm ist gekauft! Jetzt feste die Zähne zusammenbeißen und nix wie weg, bevor sich das gesamte Flücherepertoire über den keinen Glückskeks entlädt.

Durch einen Zusammenprall von zwei verschiedenen Arten von Cosplay-kulturen, kommt es immer häufiger zu solchen Zusammenstößen. So gibt es zum einen die „klassischen“ Cosplayer, welche ihre Kostüme so weit wie nur möglich selber machen und zum anderen die „neuen“ Cosplayer, welche ihre Kostüme im Internet in einem der immer zahlreicher auftretenden Onlineshops bestellen. Doch ist eine Einteilung von Cosplayern nach derartigen Kriterien überhaupt möglich?

Die Antwort darauf lautet natürlich Nein. Cosplay bedeutet nicht, wie viele Leute gerne glauben, dass man sich selbst ein Kostüm bastelt und dann aller Welt zeigt, sondern vielmehr Spaß daran zu haben in seinen Lieblingscharakter aus Büchern, TV und Film zu schlüpfen. Wie und wo ist dabei nebensächlich. Doch warum gibt es teileweise eine große Diskrepanz zwischen verschiedenen „Arten“ von Cosplayern?

Anime, Manga und Cosplay ist in der deutschen Gesellschaft, ganz im Gegensatz zu noch vergleichsweise jung. Betrachtet man die großen Conventions sind viele jünger als 10 Jahre. Zu Beginn waren sie mehr oder weniger Fantreffen und eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt für die wenigen Anime- und Manga-fans Merchandise zu kaufen. Wie Angebot und Nachfrage den Preis von Dingen bestimmen, so sorgte eine zu Beginn kleine Nachfrage nach Cosplaykostümen und Merchandise für sehr hohe Preise. Da war es für die wenigen Cosplayer weitaus günstiger die Kostüme selber zu basteln als für teuer Geld zu kaufen.

Durch das rasante Wachstum der Szene in den letzten Jahren jedoch hat sich die Nachfrage nach Anime- und Manga bezogenen Produkten derart gesteigert, dass Onlineshops für Goodies und Cosplayzubehör wie Pilze aus dem Boden schießen. Gleichzeitig fallen die Preise für diese Gegenstände immer weiter. Ganz drastisch ist dieser Effekt zum Beispiel bei in Deutschland lizensierten Animes zu sehen. Wo es früher Jahre gedauert hat, bis ein in Japan erschienener Anime in Deutschland veröffentlicht wurde, vergehen heute grade einmal wenige Monate.

Doch was hat das Ganze mit der Frage zu Beginn zu tun? Nun, fallende Preise für Cosplays und Zubehör, sowie eine immer stärker wachsende Szene ermöglichen es auch Leuten die, sei es nun aus handwerklichen oder ausstattungstechnischen Gründen, nicht in der Lage sind ihre Kostüme selber zu nähen sich welche zu kaufen. Da sich aber durch zum Beispiel Cosplaywettbewerbe die Meinung verbreitet hat, ein selbstgemachtes Kostüm sei besser als ein gekauftes, stoßen Cosplaykäufer nicht selten auf Unverständnis.

Doch solange ein Kostümkäufer nicht versucht bei Wettbewerben ein gekauftes Kostüm als Eigenkreation auszugeben, ist dieses völlig unbegründet, ja gar Egoistisch. Denn vorschreiben zu wollen, dass nur selbstnähende Cosplayer „echte“ Cosplayer seihen, macht es Cosplayanfängern deutlich schwieriger, wenn nicht gar unmöglich in die Szene ein zu steigen, und sei es nur aus Spaß. In einer Szene welche für ihre große Offenheit und Freundlichkeit bekannt ist, sollte es Leuten nicht verwehrt sein beim Cosplayen Spaß zu haben, nur weil sie nicht Nähen oder Handwerkeln können. Spaß kann man ohnehin nicht mit Geld kaufen.

Autor: Vincent Freudenreich

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